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Raumfahrtpolitik

Manchmal ist es wichtig hinter die Kulissen zu schauen um getroffene Entscheidungen zu verstehen. So ist es auch in der Raumfahrt wichtig etwas weiter über den Tellerrand zu blicken. Und genau das wollen wir in unserer Rubrik „Raumfahrtpolitik“ tun. Hier wirst Du Hintergründe und unsere Meinung zu Themen finden die manchmal nicht unmittelbar mit der Raumfahrt zu tun haben, diese aber oft erheblich beeinflussen. 

Kessler Syndrom – Reale Gefahr, oder Panikmache?

Weltraumschrott, Kessler Syndrom, Kaskadierende Schrottwolken….etc.  Ist das alles Panikmache, oder ernstzunehmende, reale Gefahr für die Raumfahrt? Und was genau bedeutet Kessler Syndrom überhaupt? Könnte es das Aus für die Raumfahrt bedeuten?

Sputnik, der erste Satellit, der 1957 von Menschen in einen Orbit geschossen wurde verbrannte schon nach etwa zwei Monaten in der Atmosphäre. Seither haben wir rund 8.000 Satelliten ins All geschossen. Nicht alle Satelliten und Raketen Oberstufen konnten wieder aus ihrer Umlaufbahn entfernt werden. Etwa 5.000, der 8.000 Satelliten im Orbit sind noch in Betrieb. Das bedeutet, dass in etwa 3.000 nicht funktionsfähige Satelliten die Erde weiterhin umkreisen.

Wenn es so läuft, wie es sich die Unternehmen vorstellen, dann könnten wir in einigen Jahren über 40.000 Starlink Satelliten von SpaceX, 3.300 Kuiper Satelliten von Amazon, 650 Satelliten der britischen One Web, mehr als 400 Satelliten für die europäische Internet Konstellation UN:IO und ziemlich sicher viele Hundert, wenn nicht einige Tausend aus China, Indien und einigen anderen Ländern im Orbit um die Erde haben.

Das allein sollte aber noch kein Grund für Herzflattern sein. Wir werden jetzt versuchen, dieses Problem differenziert zu betrachten.

Eine  differenzierte Betrachtung der Gefahr

Im Luftraum für kommerzielle Flugzeuge sind zu Jederzeit sieben bis neuntausend Flugzeuge unterwegs. Diese kollidieren aufgrund einer guten Regulierung so gut wie nie! Dabei fliegen die meisten Flugzeuge auf den gleichen Routen.  Es gibt ganz klare Regeln, Sicherheitsstandards und Luftverkehrsgesetze, die gelten. Genau das brauchen wir auch im All! Im Moment gibt es einige Weltraumverträge und Empfehlungen für verantwortungsvolles Verhalten. Aber leider nichts Bindendes.

Wir dürfen nicht naiv werden, aber wir müssen auch bedenken, dass diese Unternehmen, die Raumfahrt betreiben, Konstellationen bauen und Ambitionen für zukünftige Projekte haben, den Raum um die Erde auch so sauber halten wollen, damit sie weiterhin ihre Raketen starten können. Daher sind für die meisten Missionen Vorkehrungsmaßnahmen vorgesehen, die die Raketenstufe, oder auch die Satelliten nach ihrer Lebenszeit in der Atmosphäre verglühen lassen, oder in einen Friedhofsorbit befördern.

Es gibt aber schon so viel Schrott, dass der gute Wille der heutigen Player allein nicht unbedingt ausreicht, um das Schlimmste zu verhindern. Trotzdem muss man sich die Thematik etwas genauer anschauen, denn der Weltraum ist riesig und sehr viel größer als unser Gehirn sich das vorstellen kann. 

Was ist das Kessler Syndrom?

Dieser Effekt ist nach dem US Astrophysiker Donald Kessler benannt, der sich mit Weltraumschott beschäftigte. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, wonach eine Kollision von zwei, oder mehreren Objekten in der Erdumlaufbahn zu weiteren Kollisionen und somit zu kaskadierenden Schrottwolken führen könnte. Es könnte  durch sehr viele blöde Zufälle oder mutwillige Dummheiten (z.B. Abschüsse von Satelitten) entstehen. 

Nun muss man grundsätzlich sagen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Kollision im Weltall aufgrund dessen bereits angedeuteter Größe relativ unwahrscheinlich ist, ohne das Ganze klein reden zu wollen. Größere Objekte kann man gut beobachten, tracken und ausweichen, was auch gemacht wird. Trotzdem gab es bereits Kollisionen auch von größeren Objekten (wie z.B. 2009, als zwei große Satelliten miteinander kollidierten). Eine große Dummheit und selbstverständlich ein großes Risiko stellen „politische Spiele“ in Form von Abschüssen von Satelliten mit bodengestützten Raketen dar. Die dabei enstehenden Fragmente kreisen Jahrzehnte um die Erde und gefährden alle Missionen. 

Die Internationale Raumstation ISS muss übrigens regelmäßig Ausweichmanöver vornehmen und wurde schon häufiger von Weltraumschrott getroffen. 

Wie viel Schrott fliegt derzeit um die Erde?

Im Moment schwirrt Schrott mit einer Gesamtmasse von über 8.000 Tonnen um die Erde.  Es gibt etwa 34.000 Objekte größer als zehn Zentimeter im Orbit. Diese stellen keine besonders große Gefahr dar. Denn diese kann man recht gut beobachten und ihnen ausweichen.  Zu dieses Objekten gehören diverse Nutzlastverkleidungen, Raketenoberstufen, Zwischenstufen und funktionsuntüchtige Satelliten. Hier liegt ein kleines Paradoxon begraben. Obwohl diese großen Objekte auf den ersten Blick keine all zu große Gefahr darstellen, tragen sie das größte Gefahrenpotenzial mit sich. Denn im Falle eines Zusammenstoßes, können diese die größten Mengen an Fragmenten erzeugen.

Daher ist es wichtig dafür zu sorgen, dass zuerst die großen Satelliten und Raketenoberstufen aus den Umlaufbahnen entfernt werden. Heutzutage werden Satelliten schon nachhaltiger designt. Sie werden so entwickelt, dass sie nach Ende ihrer geplanten Betriebszeit genug Treibstoff übrig haben, um entweder passiviert, oder zurück in die Atmosphäre geschickt zu werden. Das ist aber leider nicht bei allen Orbitalbahnen möglich. Auch beim Deorbiten ist darauf zu achten, dass nichts mehr vom Satelliten übrig bleibt. Denn Glas, Titan und einige andere Materialien verglühen nicht vollständig beim Wiedereintritt.

Die nächste Kategorie wird schon gefährlicher! Denn mittlerweile orbiten etwa eine Million Objekte zwischen einem und zehn Zentimeter die Erde. Viele davon sind noch nicht erkannt, können aber sehr gefährlich werden, da sie eine doch relevante Masse haben und erheblichen Schaden anrichten können. Darunter sind Schrauben, Muttern, abgeblätterte Farbe und kleine Fragmente. Aber auch Eis und kleine “natürliche” Objekte. 

Dann fliegen noch etwa 130 Millionen Objekte zwischen einem Millimeter und einem Zentimeter um die Erde. Diese sind nicht zu vernachlässigen, aber ihre geringe Masse macht sie weniger gefährlich.  Es kreisen etwa 2.000 Milliarden Objekte kleiner als einen Millimeter um die Erde. Fairerweise muss man hier dazu sagen, dass nicht alles davon von uns Menschen ist, da der Weltraum nicht ganz leer ist.

Welche Orbitalbahnen sind am wenigsten, welche am meisten gefährdet?

Low Earth Orbit (LEO): Das ist alles bis etwa 2.000 Kilometer Höhe

Die ISS orbitet auf etwa 400 Kilometer Höhe und hier arbeiten auch die großen Internet-Mega Konstellationen. Je nach genauer Höhe und Masse verglühen die meisten Objekte dort recht schnell. 

Bis Objekte im LEO zurück zur Erde fallen, vergehen in der Regel einige Monate bis maximal einige Jahre. Wenn sie eher im höheren LEO angesiedelt sind, kann es auch schon mal einige Jahrzehnte dauern. Also man kann sagen, dass sich dieser Orbit ziemlich schnell selbst reinigt. Deswegen ist es auch nicht all zu problematisch, wenn man nachhaltig gebaute Satelliten Konstellationen im LEO positioniert. Trotzdem muss hier genau aufgepasst werden, denn hier operieren auch die ISS und andere Raumstationen und dann geht es um Menschenleben! 

Medium Earth Orbit (MEO):  2.000km bis hin zum Geostationären Orbit auf etwa 36.000 Kilometer

Besonders interessant in diesem Bereich sind die Orbitalbahnen um die 24.000 Kilometer Höhe. Denn diese Gegend eignet sich besonders gut für Navigationssatelliten. Das gute an diesen Bahnen ist, dass es hier extrem viel Platz gibt, um sich aus dem Weg zu gehen. Satelliten hier bleiben, aufgrund der sogut wie nicht vorhandenen Atmosphäre tausende, wenn nicht hunderttausende Jahre und länger im Erdorbit. Also hier sollte nichts passieren, denn hier kann man nur schwer „aufräumen“. 

Da Satelliten hier schon sehr weit weg sind von der Erde, ist es für viele Betreiber oft wirtschaftlicher sogenanntes Graveyarding zu betreiben. Dabei wird, am Ende der Lebzeit eines Satelliten eine kleine Menge an Treibstoff dazu verwendet, den Orbit des Satelliten ein kleines Bisschen anzuheben, oder zu senken, sodass die stark frequentieren Bahnen nicht zugemüllt werden. Stattdessen hat man dann den Müll quasi im Hinterhof und muss sich später darum kümmern. Graveyard ist Englisch und bedeutet Friedhof. Daher ist es frei und makaber übersetzt „Friedhofspolitik“. Die wichtigste Ressource im All ist der Geostationäre Orbit. Denn das ist nur eine einzige Orbitalbahn, auf 36.000 Kilomter Höhe über dem Äquator. Man kann hier nicht etwas höher, oder niedriger fliegen. Sonst ist man nicht geostationär. Satelliten im GEO sind auch so weit weg von der Erde, dass hier die Friedhofspolitik massiv betrieben wird. Wenn hier etwas passiert, dann fällt der Müll sogut wie nie wieder zur Erde zurück. Zumindest aus unserer menschlichen Sicht. Hier reden wir von hunderttausenden und Millionen Jahren.

Was können wir gegen Weltraumschrott tun und welche konkreten Projekte gibt es derzeit?

In Europa gibt es mittlerweile die sogenannten ISO24113 Standards, wonach Satelliten so designt werden müssen, dass sie kein Titan, Gals, oder ähnliche Materialien beinhalten, die beim Wiedereintritt nicht vollständig verglühen. 

Möglichkeiten Weltraumschrott zu minimieren sind einige Anstrengungen der ESA und der NASA, Servicemodule zu entwickeln, die die Lebenszeit von Satelliten verlängern könnten. Das kann auf zwei Arten funktionieren. Entweder man hat ein Modul, welches zu den betroffenen Satelliten fliegt und sie betankt, sodass sie weitere Jahre sicher arbeiten können. Oder das Service Modul dockt einfach an und fungiert als zusätzliches Antriebsmodul. Das spart den Bau neuer Satelliten und reduziert die Notwendigkeit eines deorbit Manövers. Denn auch ein solches Manöver benötigt Treibstoff. Und wenn man schon Treibstoff verwendet, warum dann nicht, um die Lebenszeit zu verlängern? Diese Methode wird in Fachkreisen “On Orbit Servicing” genannt.

Weiter, sollten alle großen Objekte von stark frequentieren und später auch von weniger stark frequentieren Orbitalbahnen entfernt werden. Für solche Abschleppungen gibt es schon einige Konzepte. Die reichen von Fangnetzen, die sich besonders gut für unkontrolliert taumelnde Objekte eignen, über robotische Arme, bis hin zu Harpunen, die aber ebenfalls das Risiko tragen, weiteren Schrott zu verursachen, wenn etwas schief geht.

Mittlerweile ist es auch möglich einzelne Objekte mit Lasern von der Erde aus zu beschießen und so für eine Ablation sorgen, die zum Deorbit führt. Was aber am nachhaltigsten wäre, ist wenn Satelliten selbst so ausgesattet sind, dass sie am Ende ihrer Lebzeit selbständig deorbiten, oder serviciert werden können. Dazu gibt es Konzepte mit sich entfaltenden Segeln oder Ballons. Aber auch ein studentisches Projekt mit einer Schaumpistole, die von einem Muttersatelliten aus kleine Schaum- bzw. Gelbällchen auf ausgediente Satelliten schießt, finde ich vielversprechend. Dieser Schaum dehnt sich im Vakuum dann stark aus und sorgt für viel extra Luftwiderstand, sodass der Deorbit beschleunigt wird.

Ein cooles Projekt von der ESA ist die Clear Space1 Mission, die im Jahr 2025 einen alten Vega Adapter aus der Erdumlaufbahn entfernen soll. Ihr Zweck ist es, zu beweisen, dass es möglich ist, Weltraumschrott zu beseitigen.

Wer auch verstanden hat, dass Weltraumschrott eine große Gefahr für ihre Assets darstellt, sind die US Militärs. Diese haben vor Kurzem das Projekt Orbital Prime auf den Weg gebracht. Obwohl es schon bewährte Systeme gibt, wollen sie mit diesem Projekt eigene, von anderen Agenturen unabhängige Systeme entwickeln, um Schrott einzusammeln, bzw. zu entsorgen. Sie machen das alles aber leider auch nicht aus humanitären Zwecken, oder weil sie so selbstlos sind, sondern weil der Schrott eine aktive Gefahr für ihre Spionage-, Kommunikation- und Navigationssatelliten darstellt.

Elon Musk und Gwynn Shotwell haben sich auch schon mehrmals zu diesem Thema geäußert und gemeint, dass Starship später einmal dafür verwendet werden könnte den orbitalen Müll einzusammeln. Ich weiß nur nicht, wie sehr es den Chinesen, oder Russen gefallen würde, wenn Elon die Überreste ihrer Satelliten einsammeln würde. Jedenfalls birgt Starship dieses Potenzial.

Obwohl einige Nationen mehr Müll verursacht haben, als andere, müssen wir uns alle an den Aufräumarbeiten beteiligen und dafür sorgen, dass kein weiterer Schrott entsteht. Wir brauchen eine weltweite künstliche Intelligenz, die jedes Objekt im Weltraum kennt und verhindert, dass Kollisionen stattfinden. Und idealerweise gibt es in einigen Jahrzehnten keinen Schrott mehr, sondern nur funktionierende Satelliten und Raumstationen.